Wir befinden uns in der Arbeitswelt 4.0 – immer online, immer einsatzbereit, immer flexibel. Oder doch nicht? Keine kleine Herausforderung.
Arbeitswelt 4.0 vs. Gehirn 1.0
Diese Situation trifft nun auf Gehirn 1.0: Ich habe Arbeit 4.0 und ich habe Gehirn 1.0. Wir sind ja immer noch dieselben Menschen, auch wenn sich die Arbeitsbedingungen verändern. Viele Veränderungen sind ja auch positiv, weil sie die Antworten auf bisherige Fragen oder die Lösungen für Probleme sind. Veränderungen tragen immer auch Chancen in sich. Es sind berechtigte Antworten auf eine neue globale Situation, in der Unternehmen zusehen müssen, dass und wie sie nicht den Anschluss an den Markt verlieren.
Gleichzeitig stecken darin Herausforderungen und Probleme, weil sich der Mensch natürlich nicht verändert hat. Wir haben sozusagen die gleiche Hard- und Software für neue Anwendungsbereiche, für neue Zwecke. Auch das hat Auswirkungen und auch das hat Nebenwirkungen. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein 20 Jahre altes Ericsson Handy, und das wollen Sie nun heute einsetzen, um Videos zu streamen. Oder Fotos auf Instagram zu posten. Nicht einmal ein einziges Foto in der Auflösung, wie wir sie heute machen, passt auf den gesamten Arbeitsspeicher dieses Handys. Wenn unser Gehirn 1.0 auf die Arbeitswelt 4.0 prallt, ist das manchmal in etwa mit dem Gefühl vergleichbar, das sich einstellt, wenn Ihr Smartphone anzeigt, dass Sie sich im Funkloch befinden. Das ist nicht wirklich das Gefühl, „always on“ zu sein.
Als Psychologe habe ich aber auch hier eine positive Sicht, weil ich weiß, dass unser Gehirn seine Fähigkeiten bei weitem noch nicht ausgereizt hat, auch wenn ich von Gehirn 1.0 spreche. Eigentlich ist unser Gehirn keine veraltete Hard- und Software für die Herausforderungen, die auf uns zukommen. Unser Gehirn ist hoch dynamisch, hat eine hohe Plastizität und Anpassungsfähigkeit. Und letztlich hat es die Arbeit 4.0 erst erfunden! Was wir in den neuen Arbeitsbedingungen erleben, haben wir selbst kreiert oder selbst verschuldet – je nachdem wie man es betrachtet. Die Frage ist eher, wie wir mit unserer persönlichen Hard- und Software damit umgehen. Wie wir die Betriebsanleitung beachten oder etwas machen wollen, was uns selber schadet.
Die Nebenwirkungen von Arbeit 4.0
Viele Führungskräfte und Unternehmen werden von diesem sich ständig verändernden Kontext verunsichert. Ängste und psychische Belastungen nehmen zu. Seit einigen Jahren sind Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichtet, eine so genannte Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (GBUPsych) vorzuweisen. Wenn man das wirklich macht, sieht man erst mal, was alles auch schiefläuft und wie belastend die Arbeitsbedingungen tatsächlich auch sind. Folgende Nebenwirkungen von Arbeit 4.0 lassen sich zunehmend beobachten:
- Stress/Burnout: Im Coaching habe ich immer wieder mit Menschen zu tun, die sich in einer regelrechten Entscheidungsunfähigkeit befinden. Sie sind gelähmt, weil sich der Kontext so schnell verändert.
- Vermehrtes Auftreten von Suchtverhalten
- Fluktuation von Mitarbeitern
- Erhöhter Krankenstand
- Mangelnde Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen
- Konzentrationsstörungen sind heute stärker an der Tagesordnung als früher.
- Fehlentscheidungen, Führungsversagen und ethische Fehlgriffe: Diese gehen auch zurück auf den Druck, den Stress und die psychische Belastung, mit der man nicht mehr umgehen kann, weil man vielleicht den Kontakt zu sich selber verliert, weil man einen Tunnelblick oder eine so genannte Problemtrance entwickelt, in der man nur noch auf das Problem fixiert ist und alles andere ausgeblendet wird.
- Mitarbeiter und Führungskräfte jammern verstärkt, weil alles furchtbar ist und früher alles besser war.
- Konflikte häufen sich, die sich nicht mehr einfach so lösen lassen.
- Mitarbeiter und Führungskräfte sind so belastet, dass sie sich oft in therapeutischer Behandlung befinden.
- Zukunftsängste/Ängste vor Wegrationalisierung durch Maschinen/Roboter oder Ängste vor Überforderung durch zu viel Veränderung nehmen zu.
So sehen die Herausforderungen konkret in vielen Unternehmen aus. Doch es gibt durchaus Lösungen. Ich stelle Sie Ihnen in der nächsten Folge dieser Artikelreihe vor.