In der Welt des Coachings und der modernen Führung sind Persönlichkeitsprofile ein beliebtes Thema. Sie sollen dabei helfen, Teams besser zu verstehen, Entwicklungsfelder aufzuzeigen oder Führungskräfte optimal einzusetzen. Doch wie sinnvoll ist dieses Instrument wirklich? Und vor allem: Wie vermeiden wir, dass Persönlichkeitsprofile mehr schaden als nützen?
Die Ambivalenz von Persönlichkeitsprofilen
Es gibt eine große Vielfalt an Persönlichkeitsprofilen – vom populären MBTI (Myers-Briggs-Typenindikator) bis zu komplexeren Modellen wie dem Big Five. Während einige wissenschaftlich fundierter sind als andere, bleibt eines zentral: Diese Tests messen eher vordefinierte Konstrukte als wahrhaft unverrückbare Eigenschaften. Die Idee, Menschen in 16 oder weniger Typen einzuordnen, erscheint auf den ersten Blick praktisch, kann jedoch schnell in Schubladendenken münden.
Trotz der berechtigten Kritik haben Persönlichkeitsprofile eine Stärke: Sie eröffnen den Raum für Gespräche über Diversität und persönliche Eigenheiten. Anstatt die Eigenarten von Kollegen oder Teammitgliedern zu bewerten, helfen sie uns zu erkennen, dass Menschen schlicht unterschiedlich „ticken“. Diese Erkenntnis kann zu mehr Verständnis und gegenseitigem Wohlwollen führen – allerdings nur, wenn wir die Profile als Diskussionsgrundlage und nicht als unumstößliche Wahrheit nutzen.
Die Risiken: Selbstlimitierung und Stereotypisierung
Die größte Gefahr liegt darin, dass Persönlichkeitsprofile Menschen in Rollen und Denkmuster drängen, die sie in ihrer Entwicklung einschränken. Aussagen wie „Ich bin introvertiert, deshalb kann ich nicht präsentieren“ sind ein Beispiel dafür, wie ein Profil zur Ausrede werden kann, sich nicht weiterzuentwickeln. Noch bedenklicher sind Fremdzuschreibungen, die anderen Türen vor der Nase zuschlagen: „Du bist zu introvertiert, um eine Führungskraft zu sein.“
Als Führungskraft oder Coach sollte man sich bewusst sein, dass Persönlichkeitsprofile zwar interessante Anhaltspunkte bieten, aber niemals den Menschen in seiner Vielfalt und Wandelbarkeit erfassen. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt.
Praktische Tipps für den Umgang mit Persönlichkeitsprofilen
Wenn ein Unternehmen oder Team mit Persönlichkeitsprofilen arbeitet, sind Coaches und Führungskräfte gefordert, die Risiken zu minimieren. Folgende Fragen und Ansätze können dazu beitragen:
Passform anfragen
Bevor Sie davon ausgehen, dass ein psychologisches Instrument mehr über den Klienten weiß als dieser selbst, fragen Sie nach seiner Meinung:
- „Welche dieser Beschreibungen machen für Sie Sinn?“
- „Was passt Ihrer Meinung nach nicht so gut?“
- „Was fehlt?“
Konzentration auf Stärken
Lenken Sie das Gespräch auf die positiven Aspekte des Profils:
- „Was sagt dieses Profil über Ihre einzigartigen Stärken und Qualitäten aus?“
- „Wie nutzen Sie diese Eigenschaften in Ihrem täglichen Leben?“
- „Wenn Sie diese stärker nutzen würden, was würden Sie anders machen?“
- „Wer könnte bemerken, dass Sie Ihre Stärken noch mehr einsetzen?“
Umgang mit negativen Aspekten
Wenn es um mögliche negative Aspekte geht, schließen Sie eine Coaching-Vereinbarung ab, bevor Sie darüber sprechen:
- „Möchten Sie einen Blick auf… werfen?“
Auch hier ist es sinnvoll, auf Ressourcen aufzubauen:
- „Wie sind Sie bisher damit klargekommen?“
Manchmal kann es auch sinnvoll sein, eine als negativ empfundene Eigenschaft „nach außen zu tragen“:
- „Welche Auswirkungen hat also das P (der MBTI-Aspekt „Last-Minute-Termine lieben“, „alle Optionen offen halten“) auf Ihr Leben?“
- „Wozu fordert es Sie auf?“
- „Welche Art von Beziehung möchten Sie dazu haben?“
- „Was gefällt Ihnen daran?“
Konkrete Anmerkungen und Zukunftsperspektiven
Zum Schluss können Sie konkrete Anmerkungen machen, um den Fokus auf die Zukunft zu richten:
- „Nachdem wir dieses Profil besprochen haben, was zeichnet sich für Sie ab?“
- „Welche Erkenntnisse möchten Sie in die Zukunft mitnehmen?“
- „Angenommen, Sie würden dies in die Zukunft übertragen, wie würden Sie es bemerken?“
- „Was würden andere Leute an Ihnen bemerken?“
- „Wie würden sie reagieren?“
- „Wie würden Sie auf ihre Antwort reagieren?“
- „Was könnten erste Anzeichen dafür sein, dass Sie Ihre einzigartigen Talente und Gaben optimal nutzen?“
Fazit
Persönlichkeitsprofile sind weder Allheilmittel noch Teufelswerkzeug – sie sind genau das, was wir aus ihnen machen. Gute Führungskräfte und Coaches nutzen sie, um wertvolle Gespräche und Erkenntnisse anzustoßen, ohne den Menschen auf eine Typisierung zu reduzieren. Mit einem achtsamen und ressourcenorientierten Ansatz können wir das Beste aus diesen Tests herausholen, ohne in starre Denkmuster zu verfallen. Schließlich sollte das Ziel immer sein, Potenziale zu entfalten und Menschen in ihrer Einzigartigkeit zu stärken.