Was hat Coaching mit der Verringerung von Fluktuationen zu tun? Suchen nicht eher Menschen einen Coach auf, die sich beruflich neu orientieren wollen? Coachinganlässe können sehr vielfältig sein – dabei kann die Vermeidung von Fluktuationen implizit oder explizit durchaus eine wichtige Rolle spielen.
Wird beispielsweise ein Führungskräftecoaching zwischen einer Führungskraft als Coachee, dessen Vorgesetzen als Auftraggeber und einem Coach vereinbart, so ist das Thema Fluktuation oft unterschwellig präsent. Nicht selten werden solche Coachingprozesse angestoßen, weil großer Veränderungsdruck für den Coachee besteht. Dabei kann zumindest mitschwingen, dass es zu einer Trennung kommen kann, wenn es nicht gelingt die gewünschten Verbesserungen zu erzielen. Der Veränderungsdruck kann aus ganz unterschiedlichen Szenarien resultieren. Hier eine Auswahl:
- Der Vorgesetzte des Coachees ist mit der Zusammenarbeit nicht zufrieden und/oder wünscht sich deutliche Verbesserungen mit Blick auf das Führungsverhalten. Bisherige Gespräche oder Trainings waren nicht ausreichend und das Coaching wird als (letzte) Chance gesehen.
- Der Coachee selbst erlebt Unzufriedenheit mit seiner Arbeitssituation und denkt über einen Wechsel nach. Mit dem Coaching will er sich auf der aktuellen Position noch eine Chance geben.
- Gescheiterte Projekte oder schlechte Teamleistungen führen dazu, dass die Führungskraft in ihrer Eignung in Frage gestellt wird, zum Beispiel durch Projektpartner, durch andere Führungskräfte.
- Eine hohe Fluktuationsquote im Verantwortungsbereich der Führungskraft signalisiert Handlungsbedarf: da stimmt etwas nicht. Die Führungskraft stellt sich die Frage, was das mit ihr zu tun hat und wie sie damit umgehen kann.
Das folgende Fallbeispiel habe ich ausgewählt, weil dabei sowohl Fluktuationsabsichten der Führungskraft, als auch Fluktuationsabsichten eines Mitarbeiters eine Rolle spielen. Bemerkenswert ist vor allem das Verhältnis von Aufwand und Nutzen: der hier beschriebene Coachingprozess beschränkte sich auf 4 Coachingtermine mit jeweils 90 Minuten. Im Ergebnis konnte die ungewollte Fluktuation der Führungskraft und des Mitarbeiters abgewendet werden. Im Folgenden beschreiben wir die Situation und skizzieren den Coachingprozess, wobei wir auf die wichtigsten Interventionen eingehen.
Situationsbeschreibung
Martin Wehner (Name geändert) ist Verkäufer in einem Modehaus, Mitte 30 und führt ein kleines Team aus Verkäufern. Dabei ist er weiterhin sehr erfolgreich im Verkauf aktiv. Die beiden Geschäftsführer schätzen Herrn Wehner als hervorragenden Verkäufer. Gleichzeitig läuft die Zusammenarbeit zwischen Herrn Wehner und den beiden Geschäftsführern nicht so richtig rund. Irgendwie funktioniert die Kommunikation nicht gut. Die beiden Geschäftsführer erleben Herrn Wehner in Gesprächen als unüberlegt, unwirsch und sogar aufbrausend.
Herr Wehner führt unter anderem einen neuen Verkäufer, mit dem es ebenfalls Schwierigkeiten in der Kommunikation gibt. In der Interaktion mit dem Mitarbeiter zeigt Herr Wehner ähnliche Verhaltensweisen wie im Umgang mit seinen eigenen Führungskräften, beispielsweise wenn er dem Mitarbeiter Feedback geben möchte oder seine Leistung beurteilt. Sowohl der neue Kollege, als auch Herr Wehner, erleben die Situation als so schwierig, dass beide Fluktuationsabsichten hegen. Die Geschäftsführer möchten eine Fluktuation von Herrn Wehner sehr gerne verhindern, ebenso eine Fluktuation des neuen Verkäufers.
In einem Gespräch zur Auftragsklärung für das Coaching formulieren die Geschäftsführer und Herr Wehner als Ziel, dass es Herrn Wehner gelingt, sein Kommunikationsverhalten sowohl in Richtung seiner Führungskräfte, als auch gegenüber dem neuen Mitarbeiter zu verbessern. Die Geschäftsführer wünschen sich sachlichere, konstruktivere Gespräche. Herr Wehner signalisiert, das Feedback nachvollziehen zu können und an Verbesserungen arbeiten zu wollen.
Erster Coachingtermin: Gesprächstechniken aufbauen und Veränderung der inneren Haltung als Ziele des Coachings
Im ersten Coachingtermin beschreibt Herr Wehner, dass er in Gesprächen mit seinen Führungskräften und auch mit seinen Mitarbeitern immer wieder das Gefühl hat, unter Druck zu geraten. Er fühlt sich in die Enge getrieben. Er weiß in solchen Situationen nicht so recht, was und wie er etwas sagen soll. In der Folge reagiert er dann immer wieder impulsiv. Es kommt zu unpassenden und abwertenden Äußerungen. So formulierte Herr Wehner beispielsweise in einer kontroversen Diskussion mit seinen Führungskräften: „Das ist doch wirklich ein Witz, wie Sie das sehen!“ Im Nachgang zu solchen Gesprächen ist Herrn Wehner durchaus bewusst, dass sein Verhalten von seinen Gesprächspartnern als unpassend wahrgenommen wird.
Herr Wehner äußert den Wunsch konkrete Hilfestellungen für die von ihm als kritisch erlebten Gesprächssituationen zu bekommen. Gleichzeitig wird für ihn im Laufe des ersten Coachingstermins deutlich, dass der erlebte Druck womöglich mehr mit ihm selbst zu tun hat, als mit seinen Gesprächspartnern. Er nimmt bei sich selbst ungünstige Einstellungen in solchen Situationen wahr, die in die Richtung gingen: „Ich muss da schnell eine perfekte Antwort haben!“ Hieraus resultiert als zweites Anliegen, an der inneren Haltung in solchen Situationen arbeiten zu wollen.
Zweiter Coachingtermin: An der inneren Haltung arbeiten – Gesprächstechniken einüben
Mit Hilfe von Techniken des Züricher Ressourcen Modells (vergleiche „Ihr bester Coach sind Sie selbst“, Kap. 3, Christoph Schalk) erarbeitet Herr Wehner für sich ein Motto, das er für sich als hilfreich und passend in den als kritisch erlebten Gesprächssituationen ansieht: „Ich gönne mir mehr Lockerheit und kann nur dazu lernen.“ Im nächsten Schritt entwickelt der Coachee Ansatzpunkte, um sich das Motto in den kritischen Situationen verfügbar zu machen. Das Motto erlebt er in der Coachingsitzung als emotional sehr entlastend.
Neben der Beschäftigung mit der inneren Haltung, werden Gesprächssituationen genauer betrachtet und gemeinsam zwischen Coachee und Coach überlegt, wie in diesen Situationen eine angemessene und lösungsorientierte Kommunikation konkret aussehen könnte. Als Rahmen dienen dabei die folgenden Schritte, die wir anhand eines konkreten Beispiels für ein Feedbackgespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter verdeutlichen:
- Situation beschreiben: Was ist passiert? Was sind die Fakten? (z.B. „Ich habe gerade gesehen, dass du dich mehrere Minuten lang mit dem Sortieren von Kleidungsstücken beschäftigt hast, während sich gleichzeitig ein Kunde suchend bei uns im Laden umgesehen hat.“)
- Auswirkungen beschreiben: Was sind die Auswirkungen der Situation auf mich und andere? (z.B. „Das wirkt auf mich so, als wenn du den Verkaufsraum in dieser Situation nicht so gut im Blick hattest.“)
- Gefühle ansprechen: Welche (negativen) Gefühle löst das bei mir aus? (z.B. „Das ärgert mich, weil es an erster Stelle wichtig ist, möglichst direkt auf unsere Kunden zu zugehen und Ihnen Hilfe anzubieten.“)
- Hintergründe erfragen: Wie sehen Sie die Situation? Was ist Ihre Perspektive? (z.B. „Ich wollte die Aufgabe noch schnell fertigmachen, damit ich das nicht nochmal anpacken muss. An sich ist für mich nachvollziehbar, dass unsere Kunden oberste Priorität haben.“)
- Folgerungen und Vereinbarungen: Welche Schlüsse können wir gemeinsam ziehen? Welche Vereinbarungen treffen wir? (z.B. „Wir haben eine gleiche Sichtweise zu den Prioritäten der Aufgaben. Da es genügend Zeiten gibt, in denen keine Kunden im Verkaufsraum sind, kümmern wir uns um die anderen Aufgaben dann, wenn keine Kunden da sind.“)
Dritter Coachingtermin: Reflexion der Effekte
Im dritten Coachingtermin wird nun reflektiert, wie sich das erarbeitete Motto und die Beschäftigung mit den konkreten Gesprächssituationen nach dem zweiten Coachingtermin in der Praxis ausgewirkt hat. Der Coachee erzählt, dass es ihm gelungen sei mehrere schwierige Gespräche mit seinen Führungskräften und seinem Mitarbeiter mit mehr Lockerheit zu führen. Er empfand in diesen Situationen weniger Anspannung und nahm sein Verhalten als angemessener wahr.
Im nächsten Schritt wird gemeinsam überlegt, wie die Effekte noch verstärkt werden können. Hierbei wird mit Skalierungsfragen gearbeitet: Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 „sehr zufrieden“ bedeutet, wie zufrieden sind Sie mit ihrem aktuellen Verhalten in den Gesprächssituationen? Was könnten Sie tun, um sich noch einen kleinen Schritt besser zu fühlen?
Vierter Coachingtermin: Auswertung und Abschluss
Im vierten Coachingtermin geht es um die abschließende Bewertung des Coachingprozesses und die Stabilisierung der Effekte. Dabei stehen die folgenden Fragen im Fokus:
- Was ist nachhaltig besser geworden?
- Was sind die wichtigsten Unterschiede im Vergleich zu früher?
- Was haben Sie gelernt?
- Wie kann das Gelernte langfristig beibehalten werden?
Führungskräftecoaching und Fluktuationsvermeidung
Die beiden Geschäftsführer berichteten, dass sie eine deutliche Veränderung in den Gesprächen wahrnehmen konnten und dass das Coachingziel einer verbesserten Kommunikation in beide Richtungen erreicht wurde. Herr Wehner und sein Mitarbeiter blieben dem Unternehmen weiter erhalten.
Das Fallbeispiel veranschaulicht, wie es mit einer zeitlich sehr kompakten Intervention gelingen kann, zu Verbesserungen in der Zusammenarbeit zu kommen und zu verhindern, dass Fluktuationsabsichten in eine tatsächliche Fluktuation umgesetzt werden.